Freitag, 19. Februar 2010

Kapitel 3


Trotz der hohen Geschwindigkeit ist die Fahrt irgendwie langweilig. Genug Langeweile um über den Rest des Tages nachzudenken. Ich könnte mir ja nach dem Treffen noch einen Film ausleihen. Vielleicht mal wieder der Streifen in dem so ein Kerl auch immer den gleichen Tag erlebt. Soll zwar eine Komödie sein aber ich finde ihn trotzdem unlogisch. Habe ihn bestimmt über 100 Mal gesehen und mir fallen trotzdem noch Fehler auf. Hört sich vielleicht blöd an aber dieser Film hat mir an Anfang ein wenig geholfen mit der Situation klar zukommen. Man konnte jedenfalls schon mal die gröbsten Fehler vermeiden. Das wirklich beschissene an dem Film ist das man nie erfährt warum er in dieser Zeitschleife hängt. Und genau das ist der Punkt der mich bei mir selbst stört. Ich frage mich ständig: Warum ich?

Vielleicht weil Menschen töten mein Beruf ist? Da gab es doch bestimmt noch andere die in Frage gekommen wären. Vielleicht war ich ja der Beste? Bin ich der Einzige? Wer weiß noch davon? Das ist nur der Bruchteil all der Fragen die ich mir seit 5 Jahren stelle. Es gibt der das hundertprozentig weiß aber jedes Mal wenn ich ihn frage, bekomme ich keine richtige Antwort. Was sage ich da? Er ist der Meister der nichtssagenden Antworten. Habe schon nach dem ersten Jahr aufgegeben zu fragen. Meistens bekam ich dann einfach die Antwort das ich zufrieden sein soll mit meinem Zustand da es mir besser gehen würde als je zuvor. Das Wiederum kann ich nicht beurteilen. An die Zeit vor den Zeitschleifen kann ich mich leider nicht mehr erinnern. Das ist wohl ein Opfer das ich bringen muss. So muss ich das wohl sehen um halbwegs befriedigt zu sein. Nach der Devise Klappe halten und das Leben genießen. Und solange es mir gut geht bin ich nicht rebellisch und nehme das so hin bevor ich ihn verärgere und er noch meinen Zustand ins Negative verändert. Ich beisse ja nicht die Hand die mich füttert.

Ich fahre auf den Hügel zur Villa hinauf. Eine steinige Landschaft ohne Grünzeug und nur ein kurviger, steiniger Weg nach oben. Nur noch eine Anhöhe und ich bin da. Diese Villa beeindruckt mich jedes Mal aufs Neue. Und das sogar nach dem tausendsten Mal wo ich hier bin. Nicht das ich das Ding besonders schön finde. Nein, wirklich nicht. Ich glaube es ist wahrscheinlich einfach nicht mein Stil. Aber diese Bauweise verschafft ihm irgendwie Respekt. Sieht aus wie ein riesiger Betonwürfel mit drei kleineren Betonwürfeln an den Seiten. Sieht aus als wären diese kleineren Würfel die Nebengebäuden dieses Riesendings. Um das Gebäude herum ist ein Rasen im Halbkreis. Er ist akkurat geschnitten. Nur nirgendwo Blumen. Es macht den Anschein als wäre das ganze Areal nur zum Nutzen da. Ohne jeglichen Anschauungswert. Es versucht halt halbwegs normal auszusehen. Und verdammt, das schafft es nicht. Definitiv nicht.

Ich stelle mich auf den einzigen Parkplatz den es vor der Villa gibt. Nur einen Parkplatz mit genau einer Autobreite. Als wäre nie mehr als eine Person zu Besuch. Vielleicht bin wirklich nur ich derjenige der hier immer rein rasselt. Ich sehe sonst auch nie jemand hier auf dem Grundstück. Nicht einmal ein Gärtner obwohl der Rasen so gepflegt ist. Gehe jetzt den schmalen Weg auf die Haustür zu. Natürlich ist die Tür wieder offen. Sie ist immer offen. Die Scheißtür hat was außergewöhnliches an sich. Sie macht keinerlei Geräusche wenn man sie öffnet oder schließt. Sobald man durch diese Tür geht steht man in einem spärlich beleuchtenden Flur. Durch die dunkle Holzverkleidung wirkt es ja auch nicht gerade heller. Das der Flur ein bisschen gruslig aussieht kommt vielleicht auch von seiner außergewöhnlichen Größe. Schätze mal Acht Meter in der Länge und 4 Meter in der Breite. Irgendwie macht das was her. Dabei scheint er gezwungen rustikal zu wirken. Roter Perserteppich, uralter Beistelltisch und der obligatorische Hirschkopf an der Wand. So ziemlich das Gegenteil von dem wie es von außen wirkt. Da waren ganz sicher Innen- und Außenarchitekt verschiedener Meinung.

Im Flur selber gibt es fünf Türen. Zwei auf jeder Seite und eine schnurstracks gerade aus. Und genau durch diese Tür muss ich jetzt gehen. Alle anderen Türen sind sowieso abgeschlossen. Habe es ja oft genug probiert. Ich wollte halt gerne mal ein bisschen mehr als nur die zwei üblichen Räume sehen. Man muss sich das mal vor Augen halten. Wenn alle Räume so gegenteilig aussehen dann könnte so eine Besichtigung echt spannend werden. Ich gehe hastig durch meine Tür weil mich der Flur so langsam anfängt zu nerven.

Ich komme in das sogenannte Besprechungszimmer. Scheint für mich aber eher das Wohnzimmer sein da es von der Größe her das größte Zimmer im Haus zu sein. Es hat große Glastüren die zu einer Art Terrasse führt. Also Terrasse im Sinne von ein bisschen gepflasterten Boden. Keine Blumen oder Bäume aber dafür eine herrliche Aussicht auf die bergige Landschaft. Die Glastüren lassen viel Sonnenlicht herein das auch sehr nötig ist bei den dunkelbraunen Wänden und den schwarz glänzenden Bodenfliesen. Es wirkt alles ein wenig kühl aber wahrscheinlich ist es trotzdem noch das schönste Zimmer in dem Gebäude. Steht nicht viel drin außer einem einzelnen Aktenschrank rechts an der Wand, einem Beistelltisch und einem dunkelroten Ledersessel in der Mitte. Und neben dem Sessel steht Papa. Er ist derjenige der die Fäden zieht. Meine einzige Kontaktperson und mein Auftraggeber. Wenn überhaupt jemand Ahnung hat was hier los ist, dann ist er es.

Er ruft mich an, macht mit mir einen Termin am nächsten Tag aus, gehe hin, bekomme einen Umschlag mit allen Informationen und erledige dann den Auftrag. Er versorgt mich mit Spaß und Arbeit. Deswegen nenne ich ihn auch Papa. Den Namen habe ich ihn gegeben da ich seinen richtigen Namen nicht kenne. Diese Taktik alles Unerklärliche selber Namen zu geben, hat mir in meiner Situation sehr geholfen. Sonst muss man alles „Dies und Jenes“ taufen. Da kommt man leicht durcheinander.

Da steht er also. Wie immer. Mit Zeige- und Mittelfinger auf dem Umschlag am Beistelltisch gelehnt. Ein kleiner Kerl, um die 70, in einem schwarzen Anzug. Und damit meine ich wirklich schwarz. Schwarzes Jackett, schwarzes Hemd, schwarze Hose und frisch polierte, schwarze Lackschuhe. Wenn man die Augen ein wenig zukneift sieht es fast so aus als würden seine Schuhe mit dem Boden verschmelzen. Ein amüsanter Effekt. Er ist ein wenig dicklich mit spärlichem, grauen Haar. Ordentlich zurück geschleimt. Steht da und starrt mich an wie eine Kröte. Mit seinen herausquellenden Augen und der hängenden Unterlippe. Da steht er da und starrt. Und starrt. Und starrt. Will der Kerl mich eigentlich jedes Mal verarschen? Jedes Mal muss ich mit der Konversation anfangen. Na gut, fange ich halt mal wieder an zu sprechen.

„Hi.“

„Hallo Fred.“

Er redet immer wie ein verbissener Roboter. Ohne jegliche Gefühlsregung. Will dadurch wohl mysteriöser wirken, doch diese Tour zieht nicht mehr bei mir. Deshalb versuche ich ihn ein wenig damit aufzuziehen. Frage mich nur ob er das schon Mal gemerkt hat? Trotz allem genieße ich ein wenig den Small Talk mit ihm.

„Na, wie geht’s? Also dieser Scheittmann Auftrag war ein voller Erfolg. Also ganz ehrlich, von allen geglückten Aufträgen kommt dieser in meine persönliche Top Ten.“

„Ich weiß doch, Fred. Ich war da.“

Bullshit. Er war nicht da. Er behauptet das bei jedem Auftrag aber gesehen hab ich ihn da noch nie. Obwohl ich an jedem Tatort mindestens zehn Tage verbringe. Und das er nur an den Tagen an denen der Auftrag funktioniert zugegen ist, ist auch Schwachsinn. Ich selber weiß das ja auch nie genau wann es funktioniert. Es ist einfach unmöglich.

„Und wie fandest du es?“

Versuche ihm einen Fehler heraus zu locken.

„Es ist nur wichtig das er tot ist.“

Verdammter Lügner. Rede weiter. Ich sage nichts.

„Aber vielleicht solltest du mal an die anderen Menschen denken. An diejenigen die diese ganze Sauerei haben mit ansehen müssen. Geschweige von denen die seine Innereien haben aufwischen müssen oder derjenige der das Stahlrohr aus ihm herausziehen musste.“

War er doch da? OK. Habe ich gesagt es wäre unmöglich? Diesen Satz sollte ich endgültig aus meinem Kopf streichen. Jetzt sollte ich mich erst einmal verteidigen.

„Na und? Die müssen das nur ein paar Stunden ertragen. Danach haben die es sowieso vergessen.“

„Vielleicht haben sie es dann oberflächlich vergessen aber wenn ein wirklich traumatisierendes Erlebnis ist, dann kann es sein das es sich unterbewusst in das Erinnerungsvermögen festsetzt. Auch über mehrere Zeitphasen hinweg.“

„Und wie soll das dann aussehen? Sagen die sich dann: Ui, unterbewusst erinnere ich mich an ein fettes Schwein mit einem Rohr in der Fresse und Därmen unter seinem Arsch.“

„Ach Fred, du siehst wie immer nur schwarz und weiß. Du könntest alles viel besser verstehen wenn du etwas intuitiver wärst.“

So ein Klugscheißer. Will er mir jetzt erzählen wie ich meinen Job machen soll?

„Das ist ja alles Recht und Schön aber wie wäre es mal mit richtigen Antworten auf meinen richtigen Fragen?“

„An dieser Stelle waren wir doch schon so oft und du lernst es trotzdem nie. Du weißt nur nicht das du alle deine Fragen dir selbst beantworten kannst. Du hast dieses Wissen in dir selbst. Du musst es nur erkennen.“

Ich kotze gleich. Er spielt schon wieder Yoda. Dieses verdammte spirituelle Geschwafel. Steht vor mir wie so ein billiger Fernsehprediger. Er braucht jetzt nur noch einen weißen Anzug und ein schleimiges Lächeln. Am Liebsten würde ich ihm mit seinem Beistelltisch seinen Kiefer zertrümmern bis seine Zähne wie die Funken einer Feuerwerksrakete umher fliegen. Ich muss mir immer auf die Lippen beißen wenn er mich in Rage bringt. Nur bei ihm muss ich mich so zusammenreißen und das macht es mir nicht gerade leichter. Wenn mir normalerweise jemand auf den Sack geht, kann ich ihm einfach die Scheiße aus dem Leib prügeln. Außer bei Papa. Und das Schlimmste: Ich glaube er erkennt meine Gedanken an mir. Er schaut nur auffällig amüsiert auf meine schon schmerzende Unterlippe als würde er es genießen mich zur Weißglut zu treiben. Ich brauche nur einen Schlag. Nur einen Schlag. Dann hätte ich wenigstens einen kleinen Wutorgasmus. Es wäre so wunderschön befreiend.

Hör auf, Fred. Hör auf mit diesen Gedanken. Hör auf dir auf der Lippe herum zu kauen. Er fängt schon an zu grinsen. Also entspann dich. Befreie deine Unterlippe von deinem Kiefer und grinse genau so dreist zurück. Gut. Es funktioniert. Und nun schnell das Thema wechseln.

„ich sehe da ainen Umschlag. Der ist doch bestimmt für mich.“

Er grinst noch zwei Sekunden bis er reagiert.

„Natürlich.“

Er nimmt endlich den Umschlag in seine Hand und streckt ihn mir entgegen bis ich ihn greife. Nun kommen meine üblichen Fragen.

„Wie lautet die Zeitspanne?“

„60 Tage.“

Nicht gerade viel aber auch nicht zu wenig. Auf jeden Fall genug um kreativ zu werden.

„Personen in unmittelbarer Nähe?“

Diese Frage ist mir immer sehr wichtig. Man darf nämlich bei Aufträgen immer nur das Hauptziel töten. Unbeteiligte dürfen verletzt aber nicht getötet werden. Diese Regel wurde mir von Anfang an klar gemacht und daran muss ich mich auch strikt halten. Nur was passiert mit den Getöteten? Das ist einer der wenigen Fragen die mir Papa schon einmal beantwortet hat. Man fragt sich doch wieso jeden Tag Tausende Menschen auf einmal verschwinden und vermisst werden. Und nur ein kleiner Teil dieser Vermissten werden wieder gefunden. Und genau diese Menschen die nicht mehr gefunden werden, die wie vom Erdboden verschluckt sind, genau diese Menschen wurden in einer bestimmten Zeitphase ermordet. Das lässt die Vermutung zu das ich nicht der Einzige bin. Wie gesagt. Jeden Tag werden Menschen vermisst. Nicht nur an meinem Tag. Auf jeden Fall ist die strikte Regel das nur das Opfer draufgehen darf. 'Und bei allen Freiheiten halte ich mich an die paar Regeln. Ich meine wenn die mir jeden Tag ein anderes Frühstück zubereiten können, dann können die mich bestimmt auch zu jeder Zeit in kleine Streifen schneiden. In dieser Sache bin ich ziemlich vorsichtig. Obwohl ich mich schon immer gefragt habe was passieren würde wenn ich sterbe. Würde ich trotzdem um 7 Uhr aufwachen oder wäre ich dann auch so ein anonymer Vermisster? War auch noch nicht mutig genug es zu probieren. Aber zurück zu meiner Frage.

„Ja, drei Mitbeteiligte in näherer Umgebung.“

Sehr gut. Das macht die Sache spannender und zwingt mich zu mehr Kreativität.

„Näheres im Umschlag.“

Er hält mir den Umschlag noch näher hin und ich verstehe den Wink mit dem Zaunpfahl. Ich soll schnell wieder verschwinden aber so leicht geht es nicht.

„Ich hätte da noch eine Frage.“

„Was ist, Fred?“

„Mmmh, wie soll ich das sagen? Mein Fernsehprogramm nervt mich. Jeden Tag kommt der gleiche Dreck und bräuchte ein wenig Abwechslung.“

„Fred...“

Ok. Sobald er seinen Satz so anfängt weiß ich schon das sich das Thema erledigt hat. Aus geheuchelter Höflichkeit lasse ich ihn den Satz beenden.

„...Du hast doch so viele Möglichkeiten dich zu amüsieren. Noch dazu auf so viele außergewöhnliche Arten. Wie kann dich da noch Fernsehen reizen?“

Na toll. Benimmt sich wie der Herrgott persönlich und verwehrt mir ein abwechslungsreiches TV-Programm. Nun gut, was soll ich machen? Er ist der Boss. Arschkriecherisch nicke ich ihm zu und gehe aus dem Haus. Auf dem Weg nach draußen hoffe ich nur noch das Papa nichts mehr sagt. Dafür bin ich jetzt zu sehr geladen. Gehe zu meinem Auto und werfe den Umschlag auf den Beifahrersitz mit der festen Überzeugung ihn erst in 24 Stunden zu öffnen. Wenn ich etwas im Überfluss habe dann ist es Zeit. Bin es in meiner Welt nicht gewohnt irgendwelche Wünsche nicht erfüllt zu kriegen. Das macht mich krank und dagegen gibt es nur eine Lösung.
Ich muss heute Abend wieder die Sau raus lassen.

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